Die Frau mit dem roten Herzen by Qiu Xiaolong

Die Frau mit dem roten Herzen by Qiu Xiaolong

Autor:Qiu Xiaolong
Die sprache: de
Format: mobi, epub
veröffentlicht: 2012-02-03T23:00:00+00:00


21

SPÄTER BETRAT Oberinspektor Chen mit Meiling, seiner früheren Sekretärin bei der Städtischen Verkehrsüberwachungsbehörde, den Dynasty Karaoke Club. Anlaß ihres Besuchs war ein Anruf von Herrn Ma, dem Kräuterarzt.

Ma hatte ihn mit Hintergrundinformationen über Gu versorgt. Gu war in einer Familie mittlerer Parteikader aufgewachsen. Sein Vater hatte mehr als zwanzig Jahre lang eine staatliche Reifenfabrik geleitet. Nach dem Ausbruch der Kulturrevolution war der altgediente Fabrikdirektor als sogenannter »Kap-Wegler« diskriminiert und mit einem großen Plakat um den Hals durch die Straßen getrieben worden, auf dem sein Name rot durchgestrichen war. In einer speziellen Kaderschule war er durch harte körperliche Arbeit umerzogen worden und kehrte nach dem Ende der Kulturrevolution mit einem verkrüppelten Bein nach Hause zurück, ein Schatten seines ehemaligen bolschewistischen Selbst und ein Fremder für seinen Sohn. Dieser hatte mittlerweile seine Erziehung auf den Straßen genossen und war entschlossen, einen anderen Weg einzuschlagen. Er ging Mitte der achtziger Jahre im Rahmen eines Sprachprogramms nach Japan, wo er, statt zu studieren, in allen möglichen Branchen arbeitete. Nach drei Jahren kehrte er mit einem kleinen Kapital in die junge chinesische Marktwirtschaft zurück und mauserte sich bald zum erfolgreichen Unternehmer, eine Klasse, die sein Vater zu bekämpfen gelernt hatte. Schließlich streckte er seine Fühler im Karaoke-Geschäft aus und erwarb sich durch eine großzügige Spende an die Blauen eine Ehrenmitgliedschaft in der Triade, die diesen Geschäftszweig in Shanghai kontrollierte. Im Dynasty hatte er regelmäßig Gelegenheit, die führenden Köpfe verschiedener Triaden zu bewirten.

Gus Kontakt zu Herrn Ma ging auf seine K-Mädel zurück, die eine Meldung bei den Behörden zu gewärtigen hatten, falls sie sich wegen Geschlechtskrankheiten an staatliche Krankenhäuser wandten. Herr Ma hatte sich bereit erklärt zu helfen, allerdings unter der Bedingung, daß Gu die Mädchen nicht für intime Dienstleistungen einsetzte, bis sie wirklich geheilt waren.

»Gu ist nicht von der ganz üblen Sorte. Immerhin kümmert er sich um seine Mädchen. Gestern hat er sich bei mir nach Ihnen erkundigt, Oberinspektor. Warum, weiß ich nicht. Diese Leute sind unberechenbar und können gefährlich werden. Ich möchte nicht, daß Ihnen etwas zustößt«, schloß Herr Ma. »Ich persönlich halte nichts von Konfrontation. Das Weiche besiegt am Ende das Harte. Heutzutage gibt es nicht mehr viele anständige Polizisten.«

Chen war überzeugt, daß Gu Informationen zurückhielt. Vielleicht würde man mit etwas mehr Druck weiterkommen. Meilings Position in der Verkehrsüberwachung konnte da hilfreich sein. Sie war ohne weitere Fragen bereit, ihn in den Club zu begleiten – eine wahrhaft verständnisvolle Sekretärin. Er traf sich mit ihr an der schlecht beleuchteten Hintertür des Shanghaier Schriftstellerverbands, und sie gingen die paar Schritte zum hell erleuchteten Eingang des Clubs hinüber.

Mit Genugtuung registrierte er, daß sie an diesem Abend Kontaktlinsen trug. Ohne ihre silberumrandete Brille wirkte sie gleich viel weiblicher. Sie hatte ein neues Kleid an, dessen enge Taille ihre gute Figur zur Geltung brachte. Er fühlte sich an das alte Sprichwort erinnert: »Ein Buddha aus Ton muß reich vergoldet sein, und eine Frau gut gekleidet.« Sie bewegte sich ungezwungen in der modischen Menge und wirkte keineswegs wie die pflichtbewußte Sekretärin, hatte aber sofort ihre Visitenkarten parat, als sie Gu vorgestellt wurde.



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